Meine Ausgangssituation
Nach wie vor zu 100 Prozent von den gesetzten Maßnahmen überzeugt, habe ich die gesamte Zeit der Ausgangsbeschränkungen in meiner Wohnung in Wien verbracht. Sechs Wochen am Stück am selben Ort zu sein, kommt in meinem Leben sonst nie vor. Durch meinen Beruf als Musiker bin ich naturgemäß viel unterwegs. Dazu habe ich in Oberösterreich meine Familie, viele Freunde und einen Teilzeitjob als Gitarrenlehrer.
Phase 1: Ruhe
Ich empfinde die ersten zwei Wochen der Isolation als befreiend. Viel Stress fällt ab, alle Termine sind hinfällig, ich muss keine Züge pünktlich erreichen und viele Stunden darin verbringen. Endlich kann ich einmal mehrere Tage hintereinander ausschlafen und täglich zu geregelten Tageszeiten aufwändig kochen und essen. Das Unterrichten übers Internet funktioniert erstaunlich gut. Auch die viele gemeinsame Zeit, die ich plötzlich mit meiner Lebenspartnerin verbringen kann, ist alles andere als selbstverständlich und wunderschön. Ich komme mir vor, als wäre ich eine von Josef Hader besungenen „Topfpflanzen“. „Ka Stress und kane Termine, bis auf an, mid ana Biene…“
Phase 2: Enttäuschung
Die Stimmung kippt bald ins leicht Negative. Aus Verdrängungsgründen vermeide ich, in meinen Terminkalender zu schauen. Zu groß wäre die Enttäuschung, schwarz auf weiß zu sehen, wie viele Konzerte bis zum Sommer abgesagt werden. Keine Frage, das Geld fehlt. Natürlich bin ich nicht der Einzige. Ich bin dank meines Part-Time-Jobs sogar in einer vergleichsweise glücklichen Situation. Die meisten KollegInnen, die ausschließlich von ihrer künstlerischen Tätigkeit leben, haben finanzielle Einbußen von 100 Prozent und wissen nicht, wie sie die nächsten Monate durchkommen sollen. So wie der Gastronomie oder der Tourismusbranche geht es eben auch der Kulturbranche. Eines hat mich die Krise noch gelehrt: Livemusik ist unersetzbar! Noch viel schlimmer als der wirtschaftliche Schaden ist für mich der Umstand, meinen Beruf nicht ausüben zu können. Das Leben hat sich für Kulturschaffende also stark verändert bis auf die Fixkosten, die nach wie vor pünktlich vom Konto abgebucht werden.
Die Menschenmassen in den Parks nerven mich, ich sehne mich nach der echten Natur. Ich will heim nach Vöcklabruck, in der Fasanen-Au spazieren gehen und fischen am Attersee. Auch meine SchülerInnen fehlen mir schon.
Phase 3: Es gibt eigentlich eh immer viel zu tun
So eine Zeit bietet einem andererseits auch Gelegenheit, sich ausführlich seinen schönsten Projekten zu widmen. In meinem Fall ist das momentan das Duo „Andyman“, bestehend aus mir und meinem langjährigen Freund Andreas Kurz. Unsere Zusammenarbeit begann vor 15 Jahren hier im Bezirk Vöcklabruck, wo wir mit unseren Musik-Lesungen unter dem Namen „Üs“ die kleinen und großen Bühnen der Kulturvereine der Region unsicher machten. Seit Andreas Kurz vor knapp zwei Jahren von einem langjährigen Auslandsaufenthalt zurückgekehrt ist, hat unser Liederprojekt erst so richtig Fahrt aufgenommen. Wir haben eigene Lieder geschrieben und bringen im Herbst 2020 unser erstes Album mit dem Titel „Nix Ungwendlichs net“ auf den Markt. Das Programm bewegt sich stilistisch zwischen Mundart-Songwriting, Wienerlied und Kabarett und wartet mit politischen und sozialkritischen, aber stets unterhaltsamen Liedern auf.
Im April hätten wir damit bei der Eröffnung des Festivals „wean hean“ im Wiener Rathaus auftreten sollen, was natürlich pandemiebedingt auch abgesagt wurde. Die Zeit der Quarantäne nutzten wir deshalb (mit gebührendem Abstand und teilweise über WhatsApp) für intensive Probenarbeiten und das Schreiben neuer Lieder. Für „Andyman“ brachte die Krise eine Enttäuschung, aber auch die Möglichkeit, bestens geprobt mit einem abendfüllenden Programm in die Herbstsaison 2020 zu starten, wo wir voraussichtlich auch im OHK Vöcklabruck zu hören sein werden.
Andreas Haidecker,
Musiker (Wien/Vöcklabruck),